Frau Troffea verließ das Haus und trat hinaus in die Straßen der Stadt. Straßburg, ein sonniger Julitag im Jahr 1518. Sie ging die Gasse entlang, in der sie wohnte, Menschen kamen ihr entgegen, nutzten die Sonnenstunden zu einem Spaziergang.
Plötzlich blieb Frau Troffea stehen. Unschlüssig verharrte sie, hatte mit einem Male vergessen, was sie vorgehabt hatte, warum sie die Gassen entlang lief. Und dann, wie aus heiterem Himmel, überfiel sie eine drängende Unruhe, und sie begann, ihre Arme in die Luft zu werfen, ihre Beine zu bewegen wie im Tanz. Ein wilder, unkontrollierter Tanz zu imaginärer Musik, der von ihr Besitz ergriff. Und sie blieb nicht allein. Manche, die sie sahen, blieben erstaunt stehen, schüttelten vielleicht den Kopf und lachten, doch andere gesellten sich dazu. Zwei Menschen, drei, immer mehr liefen auf die Straßen von Straßburg und tanzten, tanzten, tanzten. Sie tanzten und hörten nicht mehr damit auf. Innerhalb eines Monats schlossen sich hunderte Bewohner Straßburgs an. Sie tanzten bei Tag und bei Nacht, bei Regen und Hitze, füllten die Straßen, tanzten bis zur vollkommenen Erschöpfung. Die Tanzwut hatte sie erfasst, der Veitstanz, eine merkwürdige Epidemie des Mittelalters, die schon zuvor ausgebrochen war. Berichte sind unter anderem überliefert aus den Jahren 1374 und 1463 .
Und nichts, das die Tanzenden zum Innehalten bewegen konnte. Angehörige versuchten verzweifelt, ihre Mütter, Söhne, Freunde von den Straßen zu zerren. Vergebens. Kaum losgelassen, begannen die Kranken ihren besessenen Tanz erneut.
Ärzte und Priester wurden um Rat gefragt, um die Ursache der Tanzwut festzustellen und um astrologische oder übernatürliche Einflüsse ausschließen zu können. Doch die herbeigerufenen weisen Männer runzelten die Stirn und zuckten die Schultern. Einen offiziellen Grund der Anfälle konnten sie nicht diagnostizieren. Manche Ärzte sprachen vom ‚heißen Blut‘ der Tanzenden, das zur Überhitzung des Gehirns geführt haben musste, als möglicher Ursache. Aber auch das war nur eine von vielen Vermutungen. Und so standen letztlich alle Experten des 16. Jahrhunderts ratlos vor den wie besessen Tanzenden.
Als letzten Ausweg versuchte man gar, den Tanz mit noch mehr Tanz auszutreiben, stellte eine hölzerne Bühne auf und ließ Musikanten aufspielen. Ein Ende der Tanztortur wurde dadurch allerdings nicht erreicht.
Doch so abrupt wie sie begonnen hatte, endete dieser Ausbruch der Tanzkrankheit in Straßburg auch wieder. Im späten August desselben Jahres ließen die Menschen von ihrem seltsamen Treiben wieder ab, und gingen, als wäre nichts geschehen, ihren alten Tätigkeiten nach, arbeiteten wieder auf den Feldern, in den Werkstätten und kehrten heim zu ihren Familien. Dutzende Tote blieben auf den Straßen zurück. Gestorben an Kreislaufversagen, an Herzinfarkt, Dehydrierung und Erschöpfung.
Die Ursachen dieser unerklärlichen Vorkommnisse sind bis heute rätselhaft. Von religiöser Ekstase über die Wirkung halluzinogener, pflanzlicher Drogen (eventuell durch Vergiftung mit Nachtschattengewächsen hervorgerufen) bis hin zu Bissen durch Giftspinnen und einem Fall von Massenhysterie reichen die Vermutungen. Der Wahrheit am nächsten kommen dürfte wohl die Ansicht, dass es sich um eine fatale Mischung mehrerer dieser möglichen Ursachen gehandelt haben könnte.
Restlose Gewissheit über den jähen Ausbruch der Tanzkrankheit im Sommer 1518 im elsässischen Straßburg werden wir allerdings wohl niemals erlangen.
Bild: Kupferstich von Hendrik Hondius (1573 – 1649) nach einer Zeichnung Pieter Bruegels des Älteren aus dem Jahre 1564: Die Wallfahrt der Fallsüchtigen nach Meulebeeck (einem Ort in der Nähe von Brüssel). Es wird vermutet, dass Bruegel Augenzeuge dieser Ereignisse war. Es dürfte sich hier um eine spätes Auftreten von Tanzwut gehandelt haben.
Public Domain