Hoch die Tassen!

barttasse1Männer, richtige Männer, tragen Bärte!
Jedenfalls in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In den meisten Fotografien aus jener Zeit trägt der Mann von Welt eine gar wunderbare, oft ausufernde Barttracht.
Meist wurden die Bärte mit Wachs aufwändig modelliert und gestärkt um jedem Wetter zu trotzen.
London, 9 Uhr, Nebel – der Bart hält. Brentford, 13 Uhr, Regen – der Bart hält. Twickenham, 19 Uhr, stürmisch – der Bart hält. Den Bart korrekt gestärkt und in gefälliger Form zu halten war für den viktorianischen Gentleman von herausragender Bedeutung.

Was zweifellos ein durchaus drängendes Problem in den Vordergrund gerückt haben dürfte:
Wie trinke ich heiße Getränke richtig? Der Dampf, der aus der Tasse aufsteigt, bringt unweigerlich das Wachs im Bart zum Schmelzen, ein Ende der mühevoll geformten Gesichtsbehaarung als traurige Folge. Außerdem können Heißgetränke aller Art unhübsche Flecken im Schnauzer hinterlassen.

barttasse2Da bleiben letztlich nur zwei Möglichkeiten:
Der Mann, der auf sich und sein Statussymbol hält, verzichtet gänzlich auf Tee oder Kaffee. Nachgerade unmöglich – man denke nur an all die englischen Gentlemen, die ihrem nachmittäglichen Tässchen Tee entsagen müssten.
Bleibt allein Möglichkeit B: die Verwendung einer Barttasse.

Harvey Adams, ein erfindungsreicher Engländer des 19. Jahrhunderts, erkannte das drängende Problem und fand schließlich die Lösung in der Adaptierung herkömmlicher Tassen. Eine horizontale Querverbindung unterhalb der Stelle, an der beim Trinken der Mund angesetzt wird, hielt heißen Dampf von nun an fern und schützte somit Bart und Wachs vor dem Aufweichen. Während des Trinkvorgangs wurde der Oberlippenbart sozusagen auf dem Quersteg abgelegt – gut geschützt vor jeglicher Benässung und Bedampfung.
Problem auf einfache, jedoch wirkungsvolle Weise gelöst.

barttasse3Barttassen erfreuten sich zwischen 1860 und 1920 im englischen, französischen, deutschen und nordamerikanischen Kulturraum sehr großer Beliebtheit. Hergestellt wurden sie aus Porzellan, Steingut oder auch Silber. Porzellanmanufakturen wie Meißen in Deutschland oder Limoges in Frankreich fertigten besonders exquisite Tassen an.
Heute noch erhaltene Exemplare dieser Barttassen zählen zu weltweit geschätzten Sammlerstücken.

Eine wohl durchdachte Erfindung, die mit dem desaströsen Niedergang der westlichen Bartkultur leider ein jähes Ende fand.

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Bildquellen:
1.+2. Wikipedia: Moustache Cup
3. The St. Andrews Preservation Trust Museum

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