Die Frau, die Kaninchen gebar

Der britische König Georg I. wird wohl mehr als verblüfft gewesen sein, als ihm eines Tages im Jahre 1726 Kunde zugetragen wurde, dass im kleinen Städtchen Godalming in der Grafschaft Surrey eine einfache Dienstmagd bereits mehrfach Kaninchen zur Welt gebracht hatte.

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Die junge Frau hieß Mary Toft.
Wir schreiben das Jahr 1703. Mary Toft kommt in sehr ärmlichen Verhältnissen zur Welt, bleibt zeitlebens Analphabetin und verdient ihren Lebensunterhalt als Magd bei schwerer Feldarbeit. Mit ihrem mittellosen Mann Joshua, er ist Tuchmacher, hat sie drei Kinder. Im Jahr 1926 wird sie erneut schwanger, doch sie erleidet eine Fehlgeburt. Kein Kindlein ward jedoch geboren, vielmehr findet der herbeigeeilte Wundarzt John Howard verschiedene Teile von Tieren vor – darunter drei Katzenbeine, eine Hasenpfote und die Wirbelsäule eines Aals! Doch damit war Marys Schwangerschaft noch längst nicht vorbei. In den nächsten Wochen gebar sie diverse weitere Körperteile von Kaninchen, und an einem einzigen Tag nicht weniger als neun tote Kaninchen-Föten wie John Howard akribisch notierte. Überwältigt von diesen unbegreiflichen Vorgängen sandte Howard Briefe an Ärzte und medizinische Koryphäen in ganz England um von diesem Wunder zu berichten. Und alle kamen diese Ungeheuerlichkeit mit eigenen Augen zu sehen und um Mary Toft zu untersuchen. Sogar der König schickte seinen Schweizer Leibarzt, den Chirurgen Nathaniel St. André aus, der das Phänomen der Kaninchengeburten genauer begutachten sollte. St. André sollte nicht enttäuscht werden. In Anwesenheit des königlichen Leibarztes gebar Mary am 15. November 1726 zwei Kaninchentorsi.
Die Öffentlichkeit war entzückt und Mary wurde zur Sensation in ganz Surrey. Durch die soeben aufblühende Zeitungslandschaft – erste Tages- und Wochenzeitungen verbreiteten die Nachricht in Windeseile – wurde die Kunde von den Kaninchengeburten bald beliebter Gesprächsstoff der gesamten Bevölkerung.

Das Londoner ‚Weekly Journal‘ veröffentlichte am 19. November 1726 folgenden Artikel:
„Aus Guildford erreicht uns eine seltsame, aber gut belegte Neuigkeit. Dass eine arme Frau, die in Godalmin, in der Nähe dieser Stadt, lebt, wurde vor etwa einem Monat von Herrn John Howard, einem hervorragenden Chirurgen und Geburtshelfer, von einer Kreatur ähnlich einem Hasen entbunden, deren Herz und Lunge außerhalb des Bauches wuchsen, und zwar etwa 14 Tage nachdem sie bereits ein ganzes Kaninchen geboren hatte. In den folgenden Tagen gebar sie weitere 4, am Freitag, Samstag, Sonntag das vierte, fünfte und sechste, eines jeden Tag, insgesamt neun. Sie waren alle tot geboren. Die Frau erklärte eidesstattlich, dass sie zwei Monate zuvor bei der Arbeit auf dem Feld zusammen mit anderen Frauen, ohne besonderen Grund ein Kaninchen eingefangen habe. Dies habe in ihr solches Verlangen nach Kaninchenfleisch ausgelöst, dass sie krank wurde und eine Fehlgeburt erlitt, und von diesem Moment an nicht mehr habe aufhören können, an Kaninchen zu denken. …”

Nachdem jedoch der erste Rausch der Begeisterung abgeebbt war, wurden auch immer mehr kritische Stimmen laut und bald mussten jene Experten auf den Gebieten der Medizin und der Geburtshilfe, die Mary Toft untersucht hatten, kleinlaut Fehler eingestehen. Bei genauerer Begutachtung einiger der von Mary zur Welt gebrachten unvollständigen Kaninchenkörper stellte man bald fest, dass die Zertrennung der Körper nicht durch übermäßig starke Gebärmutterkontraktionen – wie manche Ärzte angenommen hatten – erfolgt war, sondern vielmehr eindeutig Anzeichen des Einsatzes von Schneidewerkzeugen aufwiesen.

Am 4. Dezember legte Mary Toft ein Geständnis ab. Sie hatte die Körperteile der Kaninchen selbst in ihrer Vagina platziert und so den erstaunlichen Geburtsvorgang vorgetäuscht. Weitere Untersuchungen ergaben, dass ihr Mann Joshua den Schwindel eifrig unterstützt hatte und dabei nicht sonderlich diskret vorgegangen war: In der gesamten Umgebung hatte er Kaninchen, je kleiner, desto besser, aufgekauft, zerteilt und für das Wunder der Geburt vorbereitet.
Mary wurde wegen Betrugs verurteilt und ins Londoner Bridewell-Gefängnis überstellt. Nachdem sie wenige Monate in Gefangenschaft verbracht hatte, wurde sie allerdings wieder auf freien Fuß gesetzt. Wohl vor allem wegen der Peinlichkeiten, die in einem öffentlichen Prozess zu Tage getreten wären. Schließlich hatten sich die bekanntesten Ärzte des Landes von einer einfachen Dienstmagd hinters Licht führen lassen. Reputation und Glaubwürdigkeit der Medizin wären der Lächerlichkeit preisgegeben gewesen, nicht zuletzt auch die des königlichen Chirurgen. Also ließ man sie frei und schloss die Akten.

Bleibt bei allem die Frage nach dem Warum.
Vielleicht liegt eine Wahrheit in den Kuriositäten-Kabinetten, die damals in ganz Europa für Furore sorgten, indem sie den von Neugier überwältigten Zuschauern ‚Monstrositäten‘ und menschliche ‚Absonderlichkeiten‘ versprachen. Siamesische Zwillinge wurden darin ebenso zur Schau gestellt wie Kleinwüchsige oder Menschen mit Albinismus. Vielleicht versprach sich auch Mary Toft damit eine Chance der Armut zu entkommen.

Mary verschwand jedoch bald aus der Öffentlichkeit, in deren Augen sie die wunderlichen Kaninchengeburten für kurze Zeit hatten treten lassen.

Bis zum heutigen Tag lebt sie allerdings weiter in den unnachahmlichen Kupferstichen von William Hogarth:

Cunicularii or the wise men of Godliman in consultation.

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Credulity, Superstition, and Fanaticism

Credulity, Superstition and Fanaticism. A medley‘, 1762; Methodist meeting at Whitefield’s Tabernacle on Tottenham Court Road, London. In the pulpit a man is preaching, holding images of a witch and a demon whilst the congregation listen to him below. In the foreground, Mary Tofts gives birth to rabbits in an illustration of the famous hoax she pulled off in 1726; many believed that it was actually true. Second and final state of plate.

Mary Toft starb am 21. Jänner 1763.

Dem ‚Daily Advertiser‘, einer der ersten englischen Tageszeitungen, war ihr Tod zumindest eine kleine Fußnote wert:

“Last week died, at Godalmin, in Surry, Mary Tofts, formerly noted for an imposition of breeding rabbits.”

 

Weitere Informationen zu Mary Toft:
> Wikipedia
> Public Domain Review

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